Translatorische Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen: ungesehen, unbezahlt – und unbenotet
Translatorische Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen: ungesehen, unbezahlt – und unbenotet
In der Fremd-/Zweitsprachdidaktik der Gegenwart ist die Grammatik-Übersetzungsmethode mittlerweile eher verpönt. Übersetzen wird mittlerweile weniger als Vehikel für den Sprachunterricht denn als eigene Fertigkeit gesehen, als translatorische Kompetenz. Diese wird bekanntermaßen in eigenen Studiengängen vermittelt, so etwa auch für das Konferenzdolmetschen, das wohl zu einem der am meisten bewunderten Berufen zählt.
Werden translatorische Fertigkeiten anderweitig eingesetzt, so kommen die Dolmetschenden lediglich je nach Prestige von Sprache, Kontext und Beteiligten in den Genuss derselben Bewunderung. Bereiche, die als alltäglich und entsprechend vermeintlich „banal“ gelten oder sogar als prekär zu bezeichnen sind, blieben sogar von der Translationswissenschaft lange Zeit unbemerkt, ebenso die dolmetschenden Akteur*innen in diesen Feldern – in vielen Fällen Kinder und Jugendliche.
Die sprachlichen Leistungen Minderjähriger, die z.B. im Krankenhaus dolmetschen oder einen Brief vom Finanzamt für die Eltern übersetzen, werden in ihrem translatorischen Handeln selten unterstützt und kaum honoriert. Im Gegenteil: Sprechen sie Sprachen wie Dari, Tschetschenisch oder Urdu, so wird ihre Mehrsprachigkeit im gesellschaftlichen wie medialen Diskurs vorwiegend als Risiko gewertet – ob für sie selbst oder das schulische Umfeld, ist hier oft nicht mehr zu unterscheiden. Der Bedarf ihrer Eltern nach Dolmetschung wiederum gilt als deren Versagen im Zuge des „Integrationsprozesses“.
Welche Rolle die Mehrsprachigkeit dieser Kinder und Jugendlichen im Schulunterricht spielt oder spielen darf, ist Gegenstand zahlreicher rezenter Forschungen im DaZ-Kontext. In diesem Vortrag soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit translatorische Kompetenzen ebendort Berücksichtigung finden oder finden könnten, wo sie durchaus auch eingesetzt werden, bislang allerdings weniger im Klassenzimmer, sondern z.B. beim Elternsprechtag: ungesehen, unbezahlt – und unbenotet.
Plenarvortrag: Donnerstag, 18. August 2022, 9 Uhr
Ort: Universität Wien Hauptgebäude (HG), Hörsaal 03 und Online